Von Balken und von Steinen

Wir haben die Neigung von unseren eigenen Fehlern abzulenken, indem wir auf Fehler anderer verweisen. Der Herr hat es so ausgedrückt, dass wir den Balken in unseren eigenen Augen nicht wahrnehmen wollen, während wir auf den Splitter im Auge des Anderen hinweisen (Matthäus 7,3-5). Doch anstatt dass wir in der vom Herrn aufgezeigten Reihenfolge vorgehen, und zuerst den eigenen Balken entfernen, um klar zu sehen und in der Lage sein zu können den Splitter aus dem Auge des Anderen zu entfernen (Vers 7), endet es meist damit, dass wir verstummen und sowohl Balken als auch Splitter am Ende dort bleiben wo sie sind. Geschützt wird dadurch die Verfehlung, nicht der Verfehler, der um die Zurechtweisung und um die damit verbundene Zurechtbringung betrogen wird.

Haben wir hingegen den Balken in unserem eigen Auge entfernt, so gilt es ein weiteres Hindernis zu überwinden, welches uns oftmals davon abhalten möchte den biblischen Aufforderungen zu urteilen und zu richten nachzukommen:

Kaum etwas, das der Herr gesagt hat, ist wohl mehr missbraucht worden, als die Worte in Johannes 8,7: «Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie».

Diese Worte sind vielen zu einer Art Geheimwaffe geworden, um entweder ihre eigenen Missstände rechtfertigen zu wollen oder aber andere davon abzuhalten, Sachverhalte, Lehren und Handlungen von Menschen anhand von Gottes Wort zu beurteilen.
Sobald sich im Lande nur leise Kritik erhebt, versucht man jegliches Reden im Keim zu ersticken, indem man diesen Bibelvers aus dem Kontext zieht, wie ein Schwert aus der Scheide, und Kritiker mit der scharf geschliffenen Frage einschüchtert: Willst Du etwa behaupten, dass Du besser bist?
Das möchte natürlich niemand, und so bringt man die meisten, die sich zu Sachverhalten äußern, in der Regel sehr schnell zum Schweigen.

Nun fordert der Herr uns aber nicht nur dazu auf, den Balken aus unserem Auge zu entfernen, um klar sehen zu können, sondern er verpflichtet uns auch in seinem Wort, Menschen, Lehren, Sachverhalte und auch uns selbst zu beurteilen bzw. zu richten.

Wir lesen einerseits: Richtet nicht, und ihr werdet nicht gerichtet werden (Lukas 6,37), und andererseits steht geschrieben: Warum richtet ihr nicht von euch selbst was recht ist? (Lukas 12,57).

Lukas 6,37 warnt uns vor „Balkenurteilen“, d.h. unscharfen, harten und lieblosen Urteilen oder Verurteilungen, wenn wir nicht möchten, dass uns ein Urteil in gleicher Weise trifft. (Die Stelle meint nicht, dass uns gar kein Gericht trifft, wenn wir nicht richten, oder dass wir über nichts und niemanden urteilen oder richten sollen!).

Lukas 12,57 fordert uns dann zum Richten auf, und zwar nicht zum Schein, sondern dazu, ein gerechtes Gericht zu richten (Johannes 7,24).

So finden wir im Neuen Testament ganz konkrete Situationen, wo wir dazu aufgefordert werden zu richten bzw. zu beurteilen (das griechische Wort krino kann übersetzt werden mit: unterscheiden, richten, urteilen, ein Urteil aussprechen):

    • 1.) Wir werden aufgefordert zu beurteilen was verkündigt wird (1.Korinther 14,29)
      • 2.) Wir werden dazu aufgefordert zu beurteilen ob jemand gläubig ist (2.Korinther 6,14). Wenn wir nicht mit einem Ungläubigen in einer sogenannten Jochgemeinschaft dienen oder leben sollen (so eine Gemeinschaft geht viel weiter als ein bloßes zusammen arbeiten oder Zeit, Interessen und Erlebnisse miteinander zu teilen), dann muss der Herr uns auch gültige, nach außen hin erkennbare Maßstäbe gegeben haben, weil wir ja nicht in das Herz eines Menschen schauen können. Und diese Maßstäbe sind die Früchte (Lukas 3,8; Matthäus 7,16.20)
      • 3.) Wir werden dazu aufgefordert, unter uns Gläubigen die Dinge, die im Leben immer wieder vorkommen, zu richten, anstatt einen Prozess vor Gericht zu führen (1.Korinther 6,1-4)
      • 4.) Wir werden dazu aufgefordert Sünde in unserem Leben zu richten (1.Korinther 11,31). So ein ständiges Selbstgericht erspart uns Züchtigungen durch den Herrn (Hebräer 12,7), die ihren Ursprung u.a. darin haben können, dass ungerichtete Sünde in unserem Leben ist
      • 5.) Wir werden als Gemeinde dazu aufgerufen zu richten, wenn Sünde sich innerhalb der Gemeinde etabliert und ein Gewisses Ausmaß einnimmt (1.Korinther 5,12-13)
      • 6.) Wir werden dazu aufgefordert zu richten bzw. zu urteilen, welche Männer die notwendigen Eigenschaften haben, um Älteste und Diakone zu werden (Die Aufforderung wie auch den Maßstab hierzu finden wir 1.Timotheus 3 und Titus 1)


      Von der Schrift her, kann also niemandem wirklich glaubhaft gemacht werden, dass wir grundsätzlich nicht urteilen oder ein gerechtes Gericht sprechen sollen (Johannes 7,24). Auch hält uns die Praxis vor Augen, dass wir Menschen urteilen und richten müssen, ohne vollkommen zu sein. Nachfolgend nur einige Beispiele:

      • Ist es unrecht, wenn Eltern das Verhalten ihrer Kinder beurteilen und richten, nur weil sie selbst nicht vollkommen sind?
      • Sollte man einem Lehrer oder Ausbilder verbieten, die Leistung und das Verhalten seiner Schüler oder Lehrlinge zu beurteilen, mit der Begründung, dass sie selbst nicht fehlerlos sind?
      • Ist es den Geschwistern verboten, sündige, dauerhafte Verhaltensweisen innerhalb der Gemeinde zu verurteilen und zu maßregeln, nur weil sie selbst nicht vollkommen sind?<
      • Sollte die Exekutive eines Staates Straftäter nicht verurteilen dürfen, weil seine Richter nicht ohne Sünde sind?

      Schnell wird uns klar, weshalb wir in diesen Fällen das Richten akzeptieren und Urteile oder Beurteilungen anerkennen: Sie basieren auf uns bekannten, allgemein gültigen Satzungen und Gesetzen, und unterliegen nicht der Willkür einzelner Menschen.
      Ebenso sollte jeder Gläubige Gottes Wort als verbindliche Richtschnur für sein Leben anerkennen und sich selbst danach richten sowie auch sich, sein Handeln und sein Reden danach beurteilen lassen.

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