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Unter dem Kreuz

Und dann stand ich unter dem Kreuz. Es war so, als würde sich alles vor meinen Augen abspielen.
Der zum Tod am Kreuz Verurteilte wurde, auf ebener Erde liegend, an den Querbalken genagelt. Bei der Annagelung wurden die Nägel zwischen den Knochen des Handgelenkes hindurch getrieben und verursachten unerträgliche Schmerzen.

Dann wurde er auf dem gut drei Meter hohen Pfahl, der auf dem Strafplatz stand, hochgezogen, und man trieb man einen langen Nagel durch die über einander liegenden Füße.
Die Kleider des Gekreuzigten fielen dem Hinrichtungskommando zu. Nichts hat man ihm gelassen. Nicht einmal das Stück Stoff, das seinen Körper bedeckte.

Einen Gekreuzigten quälte furchtbarer Durst, rasende Kopfschmerzen und heftiges Fieber. Die Hängelage verursachte Atemnot, und der Verurteilte konnte dem Erstickungstod nur entgehen, wenn er sich, gestützt auf den Nagel, der die Füße durchbohrte, vorüber gehend aufrichtete. Im abwechselnden Heben und Senken des Körpers, in Atemnot und Atemschöpfen, vollzog sich der Todeskampf, der Stunden, ja mitunter sogar Tage dauern konnte. Wollte man das Leben eines Gekreuzigten vorzeitig beenden, weil zum Beispiel ein Feiertag anbrach, dann brach man ihm durch einen heftigen Schlag den Oberschenkelknochen, damit er sich nicht mehr auf den Nagel, er durch seine Füße getrieben war, aufstützen und Atem holen konnte.

Ein Gekreuzigter hatte darüber hinaus noch eine weit schwerere Strafe zu ertragen: Jesus Christus. Während Stunden der Finsternis wurde er am Kreuz auch noch von Gott gerichtet. Stellvertretend für all diejenigen, deren Sünden er auf sich genommen hat. Was das für den bedeutete, der aus seinem Leben keine Sünde kannte, und auf der anderen Seite für den, der keine Sünde duldet aber diesen Plan entwarf, um Menschen zu retten und zu befreien, war in dem Augenblick des Vollzugs so schlimm, das es den Augen der Menschen verborgen bleiben sollte (Lukas 23,44) Und es war schon um die sechste Stunde; und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. .

Unter dem Kreuz stehend, und dies alles vor Augen habend, konnte ich nicht mehr sagen: Ich war damals nicht dabei. Keiner von uns kann das sagen, denn wenn Jesus damals schon für uns heute gestorben ist, dann kreuzigen wir Ihn heute noch seit damals, wir, die wir nichts von Ihm wissen wollen. Dann sind unsere Wünsche und Ziele, unsere Worte und Taten nichts anderes als Hammerschläge auf die Nägel des Kreuzes. Dann ist unser gesamtes Leben, das wir ohne Ihn leben – unser Todesurteil.

Ich hatte bisher falsch gelebt. Hatte Ihn verachtet. Mich gegen ihn und gegen so viele Menschen versündigt. Mich im Hinblick auf Gott und die Menschen derart verschuldet, dass ich – bildlich gesprochen – die Nägel des Kreuzes, an dem der Sohn Gottes meinetwegen hin, ohne irgendwelche Bedenken selbst tief eingeschlagen hatte. Er aber rief mir das zu, was Er uns allen zuruft: »Es tut mir weh! Jeder Hammerschlag, jeder Wunsch, jedes Ziel, jedes Wort und jede Tat, die gegen mich gerichtet ist und gegen solche, die ich geschaffen habe. Und alles, was du nur auf dich achtend ständig ohne mich tust. All das tut mir weh, – aber ich habe mein unendlich großes Interesse an deiner Person nicht verloren! Ich möchte vergeben, dich vor dem erretten, was ich gerade stellvertretend für dich auf mich genommen habe!«

Da fiel mir – immer noch bildlich gesprochen – der Hammer aus der Hand! – Mein Wunsch war nur mehr, dieses neue Leben, das mir von Jesus angeboten wurde und das einem jeden von uns zugedacht ist, anzunehmen. Ich begriff, dass dieser Jesus Christus auch mich meinte, dass Seine Worte auch mir galten, und dass Sein Tod auch mein Tod sein konnte, so dass durch Seine Auferstehung eine neuer Mensch in mir geboren werden konnte, ein neues Leben. Als mir bewusst wurde, dass ich jetzt sterben konnte, ein für allemal, und dass ich jetzt leben könnte, ein für allemal, dass dieser Jesus zu mir sagte: »Du bist ein Verbrecher, ein Sünder, aber ich habe dich lieb, ich möchte dich annehmen, ich möchte euch alle annehmen – kommt unter das Kreuz!«, da konnte ich nichts anderes mehr tun, als vor Ihm auf die Knie zu gehen und zu sagen: »Herr, hier bin ich. Ich übergebe Dir mein Leben. Behalte alles von mir Zugefügte, Künstliche, alles falsch Aufgeputzte, und gib mir das, was natürlich ist, was von dir ist; erfülle Du mich und übernimm Du die Herrschaft meines Lebens!«

Ich begann damals in der Bibel zu lesen und zu verstehen; und mein Gebet ist seitdem, dass Gott mich zu einem Mann macht, der an »das Leben« glaubt und »nach dem Leben greift«, jederzeit und ohne Hast, aber auch ohne zu zögern.

Der weiß, dass das, was Gott ihm bereithält, gut für ihn ist, und der weiß, dass es sinnlos ist, zu begehren, was nicht für ihn gedacht ist.

Ein Mann, der an ein nutzvolles Durchleben aller seiner Tage glaubt, an eine sich lohnende Mühe und
der sich deswegen dem anvertraut, der den Grund aller Dinge weiß.

Mein Gebet ist, dass Gott mich zu einem Mann macht, der sich zu beherrschen versteht in seinen Leidenschaften und Interessen, in seinen Forderungen und seinen Launen; ein Mann, der es versteht, zu kämpfen und der gelernt hat zu leiden, für all das, was uns gegeben ist.

Ein Mann, der es lernen möchte, mit aller Gewalt der Aufopferung und aller Regung seiner Gefühle,
mit seinem ganzen Verstand und all seiner Kraft, die ihm geschenkt wurde, Gott, seinen Herrn, zu lieben.

Und schließlich ein Mann, der auch zu sterben versteht, der weiß, was es bedeutet, sein Leben herzugeben: es nicht zu verlieren, sondern es gerettet zu wissen; der weiß, dass nun das Eindringen der Vergänglichkeit in die Ewigkeit stattfindet.

All das begann ich zu verstehen, als ich unter dem Kreuz stand. Da wo sein Ruf noch heute zu hören ist, für den, der ihn vernimmt: »Komm unter das Kreuz! Ich möchte dir vergeben und dir ein neues, völlig anderes Leben schenken! «

Kurt Becker